You don’t really know me


The girl who always says yes, wants to scream no
Takes over everyone’s stress – and ignores her own

Textauszug aus dem gleichnamigen Song von
Jessie J und Inspiration für diese Gedanken

Wo finde ich das Protokoll zur Besprechung von vor einem Jahr? Ich weiß, du bist nicht zuständig; kannst du mir trotzdem helfen? Ich kann das nicht erledigen, ich weiß nicht, was du da von mir willst. Dein Team wird künftig eine weitere Applikation mitbetreuen; kümmere dich selbst um die Ausbildung deiner Mitarbeiter. Weißt du, warum der Prozess anno 2001 so implementiert wurde? Ich hätte dich als Projektleitung gesehen, das schaffst du sicher mit links… Kannst du mich mit dem Auto mitnehmen? Ich brauche Gutscheine von dem Fachgeschäft bei dir um die Ecke, kannst du mir welche besorgen? Ich brauche jemanden zum Reden, können wir uns treffen?

Schon allein beim Durchlesen dieser beispielhaft angeführten Anfragen, Bitten und Forderungen verkrampft sich mein Magen.

Sag JA, und alle mögen dich. Sag NEIN, und sie bekriegen dich. Diese Aussage hat sich in den letzten Jahren für mich als Mantra manifestiert. Wenn man so will, wohl eine Art langsame Selbstzerstörung in Vollendung.

Selten schafft es ein NEIN über meine Lippen. In meinem Kopf schreit es oft so laut, als ob es mit Hilfe eines inneren Subwoofers durch jede Zelle meines Körpers dröhnen würde. Die Muskeln spannen sich an, doch dieses kleine Wort findet den Weg nicht zu meiner Stimme, um meinem Gegenüber die Antwort mitzuteilen. Jedes nicht gesagte NEIN setzt sich stattdessen in mir fest. Gräbt sich ein. Lässt mich nicht schlafen oder bringt mich zum Weinen. Eine zusätzliche Last, die bleibt, und mich ein Stück weit mehr erdrückt.

Wenn es mir aber doch gelingt, etwas zu verneinen, habe ich sofort ein schlechtes Gewissen. Warum? Familie könnte mich ausgrenzen. Freunde könnten sich entfernen. Kollegen könnten strategisch gegen mich vorgehen. Vielleicht werde ich nur wahrgenommen, wenn ich gebe. Bin ich nur etwas wert, wenn ich gebe. Steht es mir zu, etwas zu fordern? Steht es mir zu, NEIN zu sagen? Bin ich es wert? Dabei ist es nicht viel, was ich möchte. Geschätzt werden. Gebraucht werden. Gemocht werden. Geliebt werden.

Es gibt einen kurzen Augenblick, in dem ich mich gut fühle. Wenn ein JA über meine Lippen kommt. Aber nicht lange. Recht bald zieht sich meine Brust zusammen. Dann verharre ich in einem Zustand permanenter Anspannung, um all die Dinge, die ich versprochen habe, auch zu erledigen. Aber der Teufel steckt im Detail. Alles in gleich guter Qualität abzuarbeiten. Meiner Qualität, deren Level ich selbst definiert habe und der ich dennoch selten gerecht werde. Warum ich den Level dann nicht weiter unten ansetze? Geht nicht. Das wäre ja dann nicht mehr ich.

Fällt es euch auf? Egal ob ich JA oder NEIN sage – es zieht mich zu Boden. Was folgt? Ich mache mich in Gedanken selbst nieder. Schon wieder nicht geschafft. Du bist unfähig. Zu nichts zu gebrauchen. Dieses Gefühl ist so dermaßen stark, wenn es von einem selbst kommt. Es ist anstrengend. Ermüdend. Auslaugend. Einengend. Diese Masse an negativen Empfindungen kann absolut nicht mit der geringen Anzahl an positiven Gefühlseindrücken kompensiert werden.

Ihr seht mich. Denkt euch: sie ist tough. Multitasking-fähig. Hat einen großen Erfahrungsschatz und denkt über den Tellerrand hinaus. Ist kompetent. Hat alles im Griff. Ist witzig. Gut gelaunt. Da, wenn man sie braucht.

Ihr kennt mich nicht. Nicht wirklich. Vielleicht schaffe ich es irgendwann, euch mein wahres Ich zu zeigen. Stück für Stück, Tag für Tag. Vielleicht wird dieser Mut belohnt, indem ihr mich dennoch schätzt, braucht, mögt, liebt. So wie ich bin. Das wünsche ich mir.

Für mich.

Verfasst im November 2016

2 Antworten auf “You don’t really know me”

  1. Du sprichst mir aus der Seele. Es ist so schwer, Worte dafür zu finden, wie erdrückend und auszehrend all diese Erwartungen sind und das es ein unerträglicher Druck sein kann.

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